Seit 70 Jahren in der IG Metall, darauf kann Anneliese Kresse stolz sein. Die 100-Jährige lebt seit Kurzem in einem Seniorenheim im Bielefelder Westen, davor seit 1949 in einem Mietshaus gar nicht weit weg davon, anfangs auf der einen, dann auf der anderen Seite im ersten Stock. Zwei Zimmer, Küche, Bad hatte der Neubau, in den die Familie mit der fünfjährigen Tochter zog.
Ihr Mann hatte Arbeit als Elektriker bei Kochs & Adler gefunden, deswegen ging es nach Bielefeld. Anneliese Kresse fing dann gleich auch bei Kochs & Adler an. »Wir hatten uns abends immer was zu erzählen«, blickt sie zurück. Kochs & Adler, später Dürkopp-Adler stellte Nähmaschinen für die Industrie her, damals war noch viel Handarbeit gefragt. »Wir haben ganz feine Löcher gebohrt, auch abgeschliffen. Ich habe aber auch an größeren Maschinen gearbeitet«, erinnert sie sich. Die Feinmechanik war Frauensache, die Männer waren eher fürs Grobe zuständig – oder sie waren als Meister die Vorgesetzten der Frauen.
Rübergemacht zu Anker
Als bei Dürkopp-Adler Flaute herrschte, haben sie zu dritt rübergemacht zu Anker. Und als es dort nicht mehr gut lief, wieder zurück zu Dürkopp-Adler. Anneliese Kresse war eine geschätzte Kollegin. Nicht nur, dass sie ihre Arbeit akkurat verrichtete und mit kleinen Teilen wie kaum jemand anderes arbeiten konnte. Es war auch die Zeit, in der viele der damals sogenannten Gastarbeiter in die Betriebe kamen, die auf grund mangelnder Sprachkenntnisse Schwierigkeiten überwinden mussten. Ihren Akkord schaffte sie locker, hatte sogar Punkte übrig, die sie gerne an andere, langsamere Kolleginnen verschenkte. Man sprach miteinander, half sich, traf sich auch außerhalb der Arbeit. Ein gutes Arbeitsklima sei das damals gewesen, an das sie sich gerne erinnert.
In die IG Metall ist sie geraten, weil ihr inzwischen verstorbener Mann auch Gewerkschaftsmitglied war. Damals, in den 1950ern, war es in den Industriebetrieben sowieso üblich, IG Metall-Mitglied zu werden. Über 30.000 Mitglieder zählte die IG Metall in Bielefeld. Die Gewerkschaft sei immer noch eine gute Sache, und so ist sie auch heute, mit 100 Jahren, treues Mitglied. Gerne kam sie zur Jubilarehrung der IG Metall Bielefeld im September, als eine von 710 Mitgliedern, die für ihre langjährige Verbundenheit in der feierlich geschmückten Stadthalle begrüßt wurden.
Schon lange in Rente, ist sie immer aktiv geblieben und hat ihr Leben selbstständig und facettenreich organisiert. Dazu gehört Lottospielen genauso wie ein Mittagsschläfchen – viele Jahrzehnte auch gerne Reisen in andere Länder.
In Heimarbeit Zigarren gerollt
Ihre Kindheit verbrachte sie auf einem Hof in Isenstedt in der Nähe von Espelkamp und des Mittellandkanals. Ackerland hatte die Familie nicht, aber Grund und Boden um das Haus herum. Das reichte für hübsche Blumen, Gemüse und Kartoffeln. Die Mutter und später auch Anneliese Kresse und ihre Geschwister drehten in Heimarbeit Zigarren. Bünde war damals noch Zentrum der Zigarrenindustrie, von der Firma Blase kamen die Aufträge. Im Prinzip kann sie das heute noch: drehen, wickeln, pressen, schneiden und fertig ist die Zigarre. Und selbst als 100-Jährige steckt sie sich ab und zu noch eine an, allerdings eine Zigarette.